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7 Nachrichten 1-2022 Aktuelles aus Wirtschaft & Politik  Wenn das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden soll, kann auch Erdgas kein relevanter Energieträger für die Prozess- wärme der Industrie bleiben. Halten Sie es für realistisch, den Wärmebedarf überwie- gend aus erneuerbaren Energien – sei es in Form „grünen“ Stroms oder „grünen“ Wassersstoffs“ – zu realisieren? Weber: Hier gibt es auf jeden Fall noch erhebli- che Herausforderungen zu lösen. Es gibt bereits viele technische Entwicklungen, zum Beispiel zum Betrieb von Netzen ohne die rotierenden Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwer- ke. Auch ist die Stromerzeugung aus Erneuer- baren sehr viel günstiger geworden. Dass Solar- strom in Deutschland für rund 5 ct/kWh produziert werden kann, hätte vor zehn Jahren kaum jemand gedacht. Auch bei Wasserstoff wird es zweifellos deutliche Kostensenkungen geben – aber es wird ein vergleichsweise teurer Energieträger bleiben, und die Potenziale zur Erzeugung in Deutschland sind begrenzt, nicht zuletzt da auch der Bau neuer Windenergieanla- gen vielerorts in Deutschland kritisch gesehen wird. Daher wird zukünftig sicherlich ein erheblicher Teil des grünen Wasserstoffs importiert wer- den – die Transportlogistik ist hier aber aufwen- diger als bei Erdgas, und es gibt erhebliche Effi- zienzverluste in der Umwandlungskette. Kurz gesagt: Technisch ist der Umstieg lösbar und ökonomisch bei international abgestimmtem Vorgehen verkraftbar. Aber eine große Heraus- forderung ist bei Wasserstoff auf jeden Fall die Koordination des Umstiegs zwischen Anbietern, Netzbetreibern und Transporteuren sowie Nach- fragern. Und falls nicht: Wird sich die Industrie stär- ker in Regionen ansiedeln, in denen grüne Energie ausreichend verfügbar ist? Kann das unser Ziel als Industrienation sein? Weber: Es gibt ja nicht „die Industrie“. Bei ener- gieintensiven Grundstoffindustrien wie zum Bei- spiel der Aluminiumherstellung haben wir zwei- fellos bereits in den vergangenen Jahrzehnten erlebt, dass neue Produktionskapazitäten nicht mehr in Deutschland entstehen, sondern in Län- dern mit günstigeren Stromkosten – obwohl ge- rade die Großabnehmer durch weitgehende Be- freiung von Umlagen vergleichsweise niedrige Stromkosten gehabt haben. Für andere Indus- triezweige wie den Maschinenbau oder den Fahrzeugbau ist der Energiekostenanteil in der eigenen Fertigung vergleichsweise gering. Hier sind Energiekosten nicht der wichtigste Stand- ortfaktor – aber es gibt sicherlich potenziell die Gefahr, dass ganze industrielle Wertschöpfungs- ketten in andere Weltregionen abwandern. Da- her ist es sowohl für die Effektivität der Klimapoli- tik als auch für ihre ökonomischen Auswirkungen entscheidend, dass sich hier die Staaten welt- weit auf möglichst vergleichbare Politikmaßnah- men einigen. Wir bedanken uns für das Gespräch. K     Foto: peterschreiber.media - stock.adobe.com 


































































































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