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6 Nachrichten 1-2022 Aktuelles aus Wirtschaft & Politik alle Marktteilnehmer. Dieser Ansatz hat sich im Elektrizitätsmarkt bewährt, auch wenn es dabei zu starken kurzfristigen Preisschwankungen kommt – zwischen Tag und Nacht oder zwi- schen windreichen und windarmen Tagen. Län- gerfristig gibt es zudem Schwankungen, wenn sich die Preise der Brennstoffe und CO2-Zertifi- kate ändern. Durch länger laufende Bezugsverträge, zum Bei- spiel über ein Jahr oder mehr, können sich Ener- gieabnehmer gegen kurzfristige Preisschwan- kungen absichern und machen das bereits heute. Eine Begrenzung der langfristigen Preis- risiken könnte durch (staatlich verordnete oder freiwillige) längerfristige Lieferverträge zwischen Produzenten und Abnehmern erfolgen. Oder der Staat gibt Preisgarantien für Produzenten ab, so dass deren Investitionsrisiko reduziert wird – das ist in Deutschland und anderswo bei den erneu- erbaren Energien lang geübte Praxis; die briti- sche Regierung hat ähnliches für den Neubau des Kernkraftwerks Hinkley Point C gemacht. Aber einen Verzicht auf die grenzkostenbasierte Strompreisbildung im Kurzfristmarkt halte ich für sehr problematisch. Denn dann verlieren wir ein maßgebliches Signal zur Koordination von ver- schiedenen Anbietern und Nachfragern. Die von manchen gewünschte Entkopplung des Strom- preises vom Gaspreis ist auch nur vordergrün- dig attraktiv. In Zeiten sinkender Gaspreise führt sie zu überhöhten Strompreisen. Gelegentlich wird auch vorgeschlagen, dass sich die Preise an den Durchschnittskosten ori- entieren sollten. Das ist für Industrie- und ande- re Endkunden aber auch jetzt schon der Fall, nämlich dadurch, dass in der Regel ein fester Energiebezugspreis vereinbart wird. In diesem Jahr gehen die letzten Kernkraft- werke vom deutschen Stromnetz. Werden die Kosten dann nochmals weiter steigen? Ist die Versorgung auch nach 2022 noch gesichert? Weber: Für die Entwicklung der Endkundenprei- se sind aktuell vor allem die Entwicklung des Gaspreises und des CO2-Preises entscheidend, da derzeit in vielen Stunden des Jahres Gas- kraftwerke preissetzend sind. Der Ausstieg aus der Kernenergie reduziert die verfügbaren steu- erbaren Kraftwerkskapazitäten, und damit müs- sen teurere Kraftwerke einspringen. In vielen Stunden werden die Preise aber kaum merklich ansteigen da es noch freie Kapazitäten gibt. In der Tat steigt jedoch das Risiko, dass in einzel- nen Stunden (vor allem in den Abendstunden an kalten Wintertagen mit wenig Wind) die verfüg- bare Erzeugung nicht mehr zur Deckung der ge- samten Nachfrage ausreicht. Dabei ist aber nicht nur die Situation in Deutschland entschei- dend. In Frankreich sind aktuell mitten im Winter zehn Kernkraftwerksblöcke nicht verfügbar, da hier die Aufsichtsbehörde Sicherheitsbedenken geltend gemacht hat. Perspektivisch wird Deutschland auch aus der Kohleverstromung aussteigen. Sehen wir einem weiteren Preistreiber entgegen? Weber: Wenn sich die Erdgaspreise normalisie- ren, werden auch die Strompreise wieder sin- ken. Allerdings ist Erdgas derzeit weltweit teu- er – auch für andere Importländer wie Japan –, und die aktuellen Preisnotierungen am Termin- markt lassen erwarten, dass es erst im April 2023 zu einer Entspannung kommt. Dabei sind offensichtlich die momentanen geopolitischen Risiken ebenfalls mit eingepreist. Auch die Kohlepreise haben weltweit angezo- gen, so dass wir davon ausgehen müssen, dass wir in den nächsten Jahren ähnlich wie in der Periode 2006 bis 2008 hohe und volatile Ener- giepreise auf den Weltmärkten sehen werden. Das wird aber für Erdgas und Kohle voraussicht- lich nicht dauerhaft der Fall sein. Bei den aktuel- len hohen und zukünftig gegebenenfalls noch weiter steigenden CO2-Preisen wird dann aber die Stromerzeugung aus Erdgas nicht teurer sein als die Stromerzeugung aus Kohle.     


































































































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