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18 Nachrichten 1-2022 Aktuelles aus Wirtschaft & Politik Energiekosten II Eine Frage des Preises Die Preise für fossile Energieträger sind in den letzten Monaten buch- stäblich „durch die Decke gegangen“. Das Ausmaß der Entwicklung kam für viele Unternehmenslenker unerwartet. Welche Strategien zum Umgang mit den hohen Energiekosten bieten sich jetzt den Unter- nehmen an? Unternehmen, die im letzten Jahr ihren Gasbedarf für 2022 decken wollten, kos- tete dies je nach Kaufzeitpunkt bis zu zehn Mal so viel wie im Jahr davor. Auch bei Öl und Kohle gab es hohe Preissteigerungen. Für die Strompreisbildung spielt Gas an den Börsen eine entscheidende Rolle. Die Situation ist kom- plex, da sich unterschiedliche Einflussfaktoren überlagern. Der Nach-Corona-Effekt Der Füllstand in Europas Gasspeichern ist der- zeit mit 37 Prozent so niedrig wie noch nie zu dieser Jahreszeit. Normalerweise werden die Gasspeicher im Sommer befüllt, wenn Gas bil- lig ist. Mit dem Ende des Corona-Lockdowns und der deutlich erhöhten Nachfrage gegen- über dem Vorjahr stiegen die Preise im letzten Jahr ausgerechnet zur warmen Jahreszeit an. Viele Unternehmen zögerten deshalb mit dem Einkauf und spekulierten auf sinkende Preise. Hinzu kam, dass in Europa weniger verflüssig- tes Erdgas angelandet und die europäische Gasproduktion gesunken ist. Zudem waren die Gasspeicher nach dem kalten Winter 2020/2021 weniger gefüllt. Die Interessen von Russland Russland ist mit 50 Prozent Deutschlands größ- ter Gaslieferant. Etwa zwei Drittel des Bedarfes wird auf Basis von langfristigen Lieferverträgen abgedeckt. Im Jahr 2020 kamen nach EU-An- gaben rund 41 Prozent des importierten Gases durch russische Pipelines. Aktuell fließt nur halb so viel Gas aus Russland nach Europa wie in den vergangenen Jahren um diese Zeit. Das russische Unternehmen Gazprom erfüllt zwar langfristige Verträge, hält aber nach Anga- ben von Fachleuten im kurzfristigen Handel trotz der hohen Preise große Erdgasmengen zurück. Es ist naheliegend, dass hinter diesem Ver- halten geopolitische Interessen stehen wie Nord Stream 2, die NATO-Osterweiterung und anderes. Ukrainische Pipeline-Kapazitäten sind derzeit nur zu 25 Prozent ausgelastet. Nord Stream 2 ist betriebsbereit und mit Gas gefüllt. Eine Freigabe der Bundesnetzagentur kommt wohl frühestens im Sommer. Falls Russland die Ukraine angreift und der Westen Sanktionen verhängt, könnten die Gaslieferungen in Gefahr geraten. Was im Falle einer Auseinandersetzung passie- ren wird, lässt sich nach Einschätzung von Ex- perten nicht seriös vorhersagen. Sollte die um- strittene Ostsee-Gaspipeline ans Netz gehen, könnten die Gas- und Strompreise fallen. Kommt es dagegen zu einem Militärangriff Russlands auf die Ukraine, drohen weitere Preissteigerun- gen. Die Gasversorgung an sich soll wohl nicht in Frage stehen. Es ist eine Frage des Preises.