Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“
Der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode – Titel: „Verantwortung für Deutschland“ – wendet sich wichtigen wirtschaftspolitischen Themen zu, unter anderen dem Bürokratieabbau und der Verbesserung der Standortbedingungen. Dafür hatte sich WSM in den letzten Monaten stark eingesetzt. Große Themen wie die Sicherung der Sozialsysteme und die Transformation zur Klimaneutralität bleiben aber weitestgehend ausgespart.
Bürokratieabbau
Beim Bürokratieabbau geht der Koalitionsvertrag vergleichsweise ambitioniert voran. Der vorgesehene gesetzliche Bürokratieabbau von jährlich 25 % könnte den notwendigen Schwung bringen, wenn die Koalition die größten Belastungen direkt angeht. Sollten die vereinbarten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, lässt das nach Ablauf einer gewissen Zeit auf spürbare Verbesserungen für den Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung hoffen. Um zukünftige Belastungen einzuhegen, ist es richtig, den zahnlosen Tiger „One-in-one-out” um EU-Recht und einen einmaligen Erfüllungsaufwand zu erweitern. Mit dem „One-in-one-out“-Grundsatz soll sichergestellt werden, dass neue Belastungen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die durch eine neue Regulierung eingeführt werden, durch die Beseitigung gleichwertiger Belastungen ausgeglichen werden. Die Beachtung dieses Prinzips könnte tatsächlich den Zuwachs von Bürokratie eindämmen.
Auch die Einsicht, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden müssen, ist seit Langem überfällig und muss in der jetzt anstehenden Legislaturperiode umgesetzt werden. Denn neue Investitionen in öffentliche und private Infrastruktur sind der Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg und die Erreichung der Klimaziele. Die für KMU angestrebte Abschaffung der Verpflichtung zur Bestellung von Beauftragten, zum Beispiel für Datenschutz oder Gleichstellung, wird zwar nicht alle Bestellungen beenden können, ist aber als gutes Signal zu werten.
Ein wichtiger Ansatz für einen spürbaren Abbau bürokratischer Belastungen ist der Rückbau der EU-Bürokratie. Die Koalition will sich dafür einsetzen, dass Berichtspflichten zulasten der Unternehmen über ihre Nachhaltigkeit (CSRD) und ihre Lieferkette (CSDDD) verkürzt beziehungsweise praxistauglicher werden (CBAM). Die Koalition bekennt sich ausdrücklich zum bereits gestarteten EU Omnibus-Verfahren zur Vereinfachung der Berichterstattung. Wenn die Bundesregierung – wie angekündigt – tatsächlich kraftvoller in Brüssel auftritt und diese Ziele unterstützt, wäre den Unternehmen in Europa wirklich geholfen. Dass das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abgeschafft werden soll, würde indes nicht viel bewirken, weil uns Europa nach wie vor zum Handeln zwingt. Da bleibt abzuwarten, was realistisch sein wird. Die Bezugnahme zum Draghi-Report der EU sucht man leider vergeblich.
Im Rechtsstaat ist Bürokratie auch notwendig. Schließlich müssen Entscheidungen des Staates regelkonform, transparent und für alle gleich zustande kommen. Wer sich in seinen Rechten verletzt sieht, muss Entscheidungen auch vor Gericht anfechten können. Diese notwendige Bürokratie muss durch eine weitgehende Digitalisierung bürger- und wirtschaftsfreundlich werden. Die Schaffung eines Digitalministeriums ist deshalb zu begrüßen. Die Einführung des „Once-Only-Prinzips“ - also das Verbot, Daten doppelt zu erheben - ist entscheidend dafür, die großen Potentiale bei der Vereinfachung zu heben.
Insgesamt betrachtet enthält der Koalitionsvertrag wichtige Punkte zum Bürokratieabbau. Eine wesentlich andere als die von der EU-Kommission aufgerufene „Vereinfachungsrevolution“ ist allerdings noch nicht zu erkennen. Kleinsthemen wie zum Beispiel die Abschaffung der Bonpflicht erlangen durch ihre explizite Nennung eine unangemessene Priorität. Ebenso wird das sehr wichtige Thema „mehr Vertrauen“ leider nur auf nichtindustrielle Bereiche wie Handwerk und Gastronomie beschränkt und nimmt insgesamt einen viel zu geringen Platz ein. Diesem Thema gebührt eine viel größere Bedeutung und Erwähnung der Tragweite.
Umwelt- und Arbeitsschutz
Aus Sicht der für den WSM wichtigen Umwelt- und Arbeitsschutzthemen fällt positiv auf, dass man weiteren Stoffverboten entgegentreten will. Für den Umweltbereich wäre es allerdings besonders wichtig gewesen, ein gesetzliches Gold-Plating-Verbot anzustreben, also ein Verbot, europarechtliche Vorgaben auf nationaler Eben zu verschärfen. Der Koalitionsvertrag insgesamt lässt europarechtliche Themen vermissen. Als Beispiele und Ansätze für Kritik sind das Fehlen der Schlüsselwörter „keine Alleingänge“, „1:1 Umsetzungsgebot“ „Bekenntnis zur Budapester Erklärung der EU-Kommission vom 8.11. 2024“, „Vereinfachung des Rechtsrahmens für Unternehmen“ und „Annahme einer auf Vertrauen basierenden Denkweise zum Gedeihen der Unternehmen“ zu nennen.
Die Tatsache, dass das hochaktuelle EU-Thema „Clean Industrial Deal“ im Koalitionsvertrag gar nicht vorkommt, lässt Fragen zur Europapolitik der Koalition aufkommen und den Schulterschluss zu einschlägigen Initiativen vermissen. Die Chance, sich dem Weg der EU-Politik anzuschließen, nämlich weg vom ausschließlichen „Green Deal“ hin zum ganzheitlichen „Industrial Clean Deal“ unter Einbindung auch industrieller Interessen, wird verpasst.
Klima- und Energiepolitik
Im Bereich der Klima- und Energiepolitik finden sich Festlegungen, die den WSM-Forderungen entgegenkommen. Gleichwohl bleiben andere, wichtige Aspekte unerwähnt oder unkonkret.
Der kurze Abschnitt zum Klimaschutz liest sich aus WSM-Sicht ambivalent. Die nationalen und EU-Klimaschutzziele werden nicht in Frage gestellt. Dieses implizite Bekenntnis erhöht einerseits die Planungssicherheit für die Anbieter klimaneutraler Produkte und Lösungen. Andererseits wird eine Chance vertan, die Kostenbelastungen für Energienutzer zu reduzieren. Eine Zustimmung Deutschlands zu einem möglichen neuen, ambitionierten EU-Zwischenziel für 2040 wird klar an die Bedingung geknüpft, dass keine Verschärfung der nationalen CO2-Reduktionsziele erfolgen darf und „ein wirksamer Carbon-Leakage-Schutz zum Erhalt unserer industriellen Wertschöpfung garantiert werden“ muss. Die Forderung, dass eine Anrechnung im Ausland realisierter CO2-Minderungen wieder ermöglicht werden soll, passt zu der Feststellung, dass die Klimapolitik eine internationale Herausforderung ist. Die extensive Konditionierung der Anrechenbarkeit ausländischer Klimaschutzprojekte deutet jedoch auf Uneinigkeit in der Koalition hin.
Die Einführung des erweiterten Emissionshandelssystems (ETS-II), wonach ab 2027 vor allem Emissionen aus dem Verkehrs- und Gebäudebereich bepreist werden sollen, wird unterstützt. Zugesagt wird ein wirksamer und unbürokratischer Carbon-Leakage-Schutz für im Wettbewerb stehende Wirtschaftsbranchen. Hier bleibt abzuwarten, wie dieser Carbon-Leakage-Schutz wirksam und unbürokratisch umgesetzt werden soll.
Bei der Energiepolitik hat sich die Union mit Ausnahme des Kernenergiethemas weitgehend durchgesetzt. Die Versprechungen sind jedoch oft unkonkret und müssen einem regelmäßigen Umsetzungscheck unterzogen werden.
Die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß kommt für alle Verbraucher. Allerdings fehlt der Begriff „dauerhaft“; die zeitlich unbegrenzte Deckelung der Netzentgelte ist lediglich als Ziel formuliert. Es bleibt also offen, ob und in welcher Höhe eine Entlastung kommt. Damit wird weiterhin keine Planungssicherheit für industrielle Verbraucher erreicht. Die Abschaffung der Gasspeicherumlage wird verbindlich zugesagt, es wird jedoch nicht konkretisiert, ab wann die Entlastung die Verbraucher erreicht. Lediglich als Ziel formuliert ist die Option, Reservekraftwerke zur Preisstabilisierung im Strommarkt zu nutzen. Weil hier aber erhebliche Widerstände der Energieversorger zu erwarten sind, bleibt eine Umsetzung unwahrscheinlich. Ebenfalls nur Ziel genannt ist wichtige Vorschlag, die Kosten für Netzanschlüsse für bestehende Unternehmensstandorte auf dem Weg zur Transformation zu senken. Eine Festlegung hätte insbesondere mittelständischen Industriebetrieben bei ihren Plänen zur Elektrifizierung geholfen.
Neu zu planende Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-(HGÜ) Leitungen als Freileitungen statt im Erdreich zu verlegen, würde den Druck auf die Netzkosten reduzieren. Allerdings steht der Ansatz zweifach („sollen“, „wo möglich“) unter Vorbehalt. Eine Umsetzung dürfte eher nur punktuell erfolgen. Die Verstetigung und Ausweitung der Strompreiskompensation auf weitere Branchen ist verbindlich formuliert („wir werden“). Das ist zumindest aus Sicht der stromintensiven WSM-Branchen positiv, dürfte jedoch unter Vorbehalt des EU-Beihilferechts stehen. Für eine Zurückdrängung eben dieses EU-Beihilferechts wird sich die Koalition einsetzen. Ein Erfolg dieser Initiative könnte viele Transformationsprojekte ermöglichen. Der Einfluss Deutschlands in der EU ist bisher allerdings begrenzt. Dass Energie- und Klimapolitik in der neuen Bundesregierung in unterschiedliche Ressorts fallen, lässt das Gegenteil einer Verbesserung befürchten. Schließlich wird die Einführung eines Industriestrompreises zwar zugesagt, bleibt jedoch hinsichtlich der Zielgruppe, Ausgestaltung und Entlastungswirkung im Ungefähren.
Diese ausgewählten Punkte aus dem Klima- und Energieteil des Koalitionsvertrages lassen erwarten, dass wir für eine möglichst weitgehende Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der WSM-Branchen weiterhin werden hart streiten müssen. Unser Vorschlag, das Strommarktdesign hinsichtlich der Marktpreisbildung anzupassen, wird nicht angesprochen.
Steuerpolitik
Eine Steuerreform wird nicht angeschoben. Bei der Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer werden wir auf die Jahre 2027 und 2028 vertröstet. Es wäre wichtig gewesen, die Einkommen schnell zu entlasten, damit unseren Mitarbeitenden mehr Netto vom Brutto bekämen. Die Erhöhung der Pendlerpauschale auf 38 Eurocent ab dem ersten Kilometer ist nicht der richtige Weg dorthin. Positiv zu bewerten ist die Einführung einer degressiven AfA von 30 % auf Ausrüstungsinvestitionen sowie die Steuerfreistellung von Überstunden.
Aus Sicht der mittelständischen Industrie ist es zu bedauern, dass die Koalition das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) im unternehmerischen Geschäftsverkehr auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) reduzieren will. Viele Zulieferer oberhalb dieser Grenze würden dann keinen Schutz mehr vor unfairen Vertragsklauseln haben.
Ansprechpartner
Christian Vietmeyer
Syndikusrechtsanwalt, Hauptgeschäftsführer
WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V.
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Tel. 0211/95 78 68-22
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Dipl.-Kaufmann Holger Ade
Leiter Industrie- und Energiepolitik
WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V.
Goldene Pforte 1
58093 Hagen
Telefon 0160-8407944
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Dipl.-Ing. Volker Bockskopf
Leiter Umwelt und Arbeitsschutz
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